»Du willst mir nicht wirklich die ganze Zeit hinterherlaufen, oder?« Ich werfe einen Blick hinter mich, wo Lucius mir auf dem Fuße folgt. Der schwelende Klumpen in meinem Bauch beginnt sogleich noch heißer zu brennen. Dieser Kerl kann unmöglich vorhaben, mir die ganze Zeit an den Hacken zu kleben und mich selbst in der Schule nicht aus den Augen zu lassen.
»Denk lieber daran, dass du nur dank meiner Anwesenheit überhaupt das Haus verlassen darfst«, sagt er ungerührt.
Ich kneife die Augen vor Zorn zusammen und gebe ein aufgebrachtes Schnauben von mir. Ich werde aus diesem Kerl einfach nicht schlau. Die ganze Zeit macht er den Anschein, als wäre die Situation überhaupt kein Problem für ihn. Dabei ist er ein Gefangener. Gut, das ist sicher besser als der Tod. Denn das wäre wohl die einzige Option gewesen, wenn er sich auf diesen Handel nicht eingelassen hätte. Nun kann er sich zudem an meiner Kraft bedienen – mit offizieller Genehmigung meines Vaters. Oder steckt vielleicht doch mehr hinter seiner Entscheidung? Es wäre jedenfalls dumm, ihn zu unterschätzen. Und ich glaube keine Sekunde lang, dass ihn die ganze Situation kalt lässt. Allein die Tatsache, dass er nun ein Gefangener ist – bei seinem Ego ist das sicher nicht so leicht zu ertragen, wie er vorgibt.
»Ich denke an nichts anderes«, fahre ich ihn an und beschleunige meine Schritte, doch Lucius beeindrucke ich damit nur wenig.
»Wir können gerne auch rennen«, kommt es von ihm. »Offenbar hast du es sehr eilig, zur Schule zu kommen.«
Ich höre den belustigten Unterton in seiner Stimme. Wie soll ich den Kerl den ganzen Tag ertragen?
»Wenn wir früh genug da sind, kannst du mich ja noch ein wenig rumführen. Vielleicht können wir uns auch mit deinen Mitschülern unterhalten«, schlägt er vor.
Ich bleibe abrupt stehen und funkele ihn an. »Wage es bloß nicht, irgendwen anzusprechen. Du hast meinen Vater gehört. Du bleibst in meiner Nähe und hältst dich ansonsten zurück.« Ich kann kaum glauben, dass ich das gerade gesagt habe. Aber besser, er raubt mir den letzten Nerv, als dass er die Schülerschaft in Angst und Schrecken versetzt.
»Dein Wunsch ist mir Befehl«, gibt er grinsend zurück und deutet eine leichte Verbeugung an, was ich mit einem Augenrollen quittiere.
Als wir das Schulgelände erreichen, atme ich noch mal tief durch. Anschließend recke ich das Kinn und gehe los. Mir ist absolut klar, dass ich mit meinem neuen Bodyguard für Aufsehen sorgen werde. Meine Befürchtungen treten auch sofort ein: Jeder, wirklich jeder dreht sich nach uns um. Köpfe werden zusammengesteckt, es wird getuschelt und geflüstert. Ich wage es nicht, mich nach Lucius umzuschauen. Am besten versuche ich, ihn zu ignorieren und mit ihm das ganze Gemurmel um mich herum. Allerdings ist das ein Ding der Unmöglichkeit, denn ich spüre seine Präsenz. Es ist, als würde sich sein Blick in meinen Rücken bohren und seine Wärme unter meine Haut kriechen. Keine Ahnung, ob er mich in den Wahnsinn treiben will. Abwegig ist der Gedanke nicht. Immerhin ist er hinter meiner Magie her, und die bekommt er nur, wenn ich wieder einen Ausbruch habe. Ist das vielleicht sein Plan? Will er so oft wie nur möglich meine Gefühle zum Überkochen bringen, um meinen Auris ins Ungleichgewicht geraten zu lassen?
Ich drehe mich um und blitze ihn an. Er quittiert meinen Todesblick allerdings mit einem stoischen Lächeln, das ich ihm zu gerne aus dem Gesicht wischen würde. Ich werde die Kontrolle nicht verlieren. Ganz gleich, wie sehr er mich an meine Grenzen bringt. Ich war noch nie so entschlossen wie in diesem Moment.
Einige Meter von mir entfernt kommt eine Gestalt auf mich zugerast. Die Lockenmähne umhüllt ungebändigt ihren Kopf und passt hervorragend zu ihrem angriffslustigen Gesichtsausdruck. Lexie scheint ziemlich sauer zu sein, wofür auch die kleinen Blitze sprechen, die immer wieder aus ihren Fingerspitzen zischen.
Bei mir angekommen, hakt sie sich unter und dreht sich zu meinem Verfolger um.
»Du hast vielleicht Nerven, dich in Adelines Nähe und dann auch noch hierher zu wagen! Glaub bloß nicht, dass ich dich aus den Augen lasse!«
Sie mag auf den ersten Blick zierlich und wenig gefährlich erscheinen, doch sie hat es ganz schön in sich, wenn es darauf ankommt.
»Glaub mir, es ist mir vollkommen gleichgültig, ob ihr für mich den roten Teppich ausrollt oder mir hasserfüllte Blicke schenkt. Ich bin nur wegen einem hier, und das sollte dir bewusst sein.«
Er nickt dabei in meine Richtung, dabei hätte er sich das sparen können. Uns beiden ist klar, was seine Ziele sind. Wieder hat seine Stimme diesen kalten Klang, der mir das Blut in den Adern gefrieren lässt und einen guten Einblick in sein wahres Wesen gibt. Der Kerl ist und bleibt gefährlich.
»Unfassbar, dass deine Familie sich darauf eingelassen hat. Ist es wirklich sicher, dass sie ihn unter Kontrolle haben?«, wispert sie mir leise zu und zieht mich mit sich.
»Zumindest kann er sich an den Magiekernen nicht mehr bedienen, wie er möchte. Und er hängt wie ein Hund an Ketten«, antworte ich so laut, dass Lucius es nicht überhören kann. Er lässt sich allerdings nicht anmerken, ob ihn mein Kommentar getroffen hat.
Lexie und ich betreten die Schule und müssen uns auch gleich schon wieder trennen. Sie muss nun zu Erntetechniken, während ich eine Stunde Pflanzenkunde habe – genau dafür habe ich mich heute Morgen mit einer Extraportion Antihistaminika gewappnet.
»Wenn der Typ dir irgendwas antut oder es wagen sollte, dir auch nur auf den Nerv zu gehen, dann mache ich ihm Feuer unter seinem recht ansehnlichen Hintern.«
Ich umarme meine Freundin kurz. »Danke. Vermutlich wird es schon Folter genug für ihn sein, dass er den ganzen langweiligen Schulalltag miterleben muss.«
Ich kann mir gut vorstellen, dass die Liste an Dingen, die er jetzt lieber tun würde, sehr lang ist. Auch wenn er sich weiterhin nichts anmerken lässt.
»Ich hoffe doch, dass du nicht neben mir sitzen willst«, fauche ich ihn an, während er mir durch die Gänge folgt. »Ein bisschen Abstand würde uns beiden sicher guttun, meinst du nicht?«
»Keine Sorge. Dein Versagen während des Unterrichts wird an dem Bild, das ich von dir habe, nichts ändern. Aber natürlich halte ich mich zurück, wenn dir das etwas von deiner Anspannung nimmt. Wir wollen doch nicht, dass dein Stresslevel steigt und du wieder mit Magiestrahlen um dich wirfst.« Er schenkt mir ein charmantes Lächeln, das so überhaupt nicht zu seinen harten Worten passen will. Davon abgesehen ist mir natürlich klar, dass er genau auf solch einen Fehltritt wartet.
Während wir durch die Flure gehen, schaut er sich immer wieder interessiert um, als wäre er dem Kaninchen in die Welt von Alice im Wunderland nachgelaufen.
»Du hast aber schon mal eine Schule von innen gesehen, oder?«, hake ich nach. »Schreiben und lesen kannst du ja immerhin?«
»Danke der Nachfrage, und ja, meinen Namen bekomme ich gerade noch so aufgeschrieben, und genauso gut kann ich einen Zauberspruch entziffern. Wie sieht es da bei dir aus? Liegt es an einer Leserechtschreibschwäche, dass es mit dem Zaubern nicht so recht klappen will, oder bist du einfach nur untalentiert?«
»Oh, welch schöner Seitenhieb«, knurre ich zurück. »Hast du endlich zu deinem alten Charme zurückgefunden?«
»Er war nie fort, und wie ich mich nur zu gut erinnere, scheint dir dieser Charme äußerst gut gefallen zu haben.« Er kleidet die Worte in einen sinnlichen Unterton und spricht das Wort »Charme« auf eine Weise aus, dass man glauben könnte, es stünde für etwas ganz anderes.
Ich verdrehe nur genervt die Augen. »Und da zeigt auch endlich wieder dein Ego sein imposantes Ausmaß.«
»Wo wir gerade von Ego sprechen«, fährt Lucius fort und verschränkt die Arme vor der Brust, während er den Blick über meine Mitschüler schweifen lässt, »die Uniformen der Vallax sehen echt toll aus. Kratzt es nicht an deinem Ego, sie jeden Tag sehen zu müssen?«
»Denkst du wirklich, dass du mich mit solchen Kommentaren aus dem Konzept bringen kannst? Ich bin es von klein auf gewohnt, von Vallax umgeben zu sein. Ich komme also bestens zurecht.«
»Wie schön zu hören. Dann freue ich mich darauf, dich während deines Jadis-Unterrichts begleiten zu dürfen. Das wird sicher sehr aufschlussreich und spannend.«
Mich würde tatsächlich interessieren, welche Schulbildung Lucius genossen hat. Warum sind seine Kräfte als Schattenhexer nie blockiert worden? Wie ist er aufgewachsen? Doch ich schiebe diese Fragen schnell beiseite. Er ist mein Feind und scheint nur eines im Sinn zu haben: meine Gefühle und damit meinen Auris zum Überkochen zu bringen. Am besten gebe ich mich so wenig wie möglich mit ihm ab. Damit hat er am wenigsten Spielraum, um sein Ziel zu erreichen.
Wir betreten das Klassenzimmer, und Lucius nimmt entspannt direkt neben mir Platz. Keine der anderen Schülerinnen oder Schüler wagt es, sich in seine Nähe zu setzen. Und so haben wir plötzlich reichlich Freiraum in unserer Bankreihe.