Leseprobe zu “Schicksalsträne: Band5”

Nur noch 11 Tage, dann erscheint der 5. Band der Schicksalsreihe. *-* Seid ihr auch schon so aufgeregt wie ich? Da es nun wirklich nicht mehr lang dauert, dachte ich mir, es wird Zeit für eine große Leseprobe. Darin lernt Teresa eine neue geheimnisvolle Protagonistin kennen. 😉 Ich wünsche euch viel Freude und einen guten Start ins Wochenende. <3

 

»Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?«

»Meine Freundin hier, hat vorgestern angerufen. Wir zwei interessieren uns für ein Praktikum in Ihrer Einrichtung, und uns wurde gesagt, wir könnten heute vorbeikommen und man würde uns das Pflegeheim zeigen.«

Die Frau tippt kurz etwas in ihren Computer ein und nickt dann. »Ich gebe Bescheid, dass Sie da sind.«

Wir treten ein Stück vom Tresen weg, während die Frau am Empfang telefoniert. Es behagt mir nicht, dass ich wieder mal auf eine Lüge zurückgreifen musste, aber anders hätten wir uns hier wohl kaum umsehen können. Bleibt die Frage, was man uns überhaupt zeigen wird.

Das Heim macht auf jeden Fall einen gepflegten und freundlichen Eindruck. Überall sind hohe Fenster, die Licht hereinlassen und den Blick auf einen hübschen Garten mit blühenden Blumen und Kräutern freigeben.

Es dauert nicht lange, da kommt eine Frau auf uns zu und stellt sich vor. »Ich bin Mrs. Antonio und werde Sie heute ein wenig herumführen.«

Ihr dunkles Haar hat sie zu einem Dutt zusammengebunden. Kleine Fältchen erscheinen in ihren Augenwinkeln, wenn sie lächelt, was sie offen und sympathisch wirken lässt.

»Wie Sie sicher bereits wissen, leben hier 80 Bewohner. Auf der Station, die ich Ihnen zuerst zeigen möchte, sind die Bewohner noch recht selbstständig. Es sind vor allem Menschen, die hierhergekommen sind, nachdem ihr Partner gestorben ist und ihnen das Haus oder die Wohnung zu groß beziehungsweise zu leer erschienen ist. Wir haben aber auch eine Station mit Demenzkranken sowie eine weitere mit schweren Pflegefällen wie Komapatienten. Sie können sich also vorstellen, dass unsere Aufgaben sehr vielseitig sind und sich von Station zu Station stark unterscheiden.«

Wir erreichen einen Korridor mit etlichen Türen. Eine ältere Frau kommt gerade aus ihrem Zimmer. Um ihren Arm trägt sie eine Tasche, aus der Gartenhandschuhe und eine Schaufel herausragen.

»Hallo, Mildred«, begrüßt Mrs. Antonio die Dame. »Na, sind Sie mal wieder auf dem Weg in den Garten?«

Die Dame nickt. »Hannah wartet schon. Wir wollen heute einen Teil des Gemüsebeets umgraben und neu anlegen.«

»Dann viel Spaß dabei«, verabschiedet sich die Pflegerin mit einem Lächeln. »Wie ich bereits sagte, die Menschen auf dieser Station sind sehr selbstständig. Sie haben immer die Möglichkeit, um Hilfe zu bitten oder an den Mahlzeiten teilzunehmen. Die meisten kochen aber noch selbst. Oft tun sie sich dafür mit ein paar anderen Bewohnern zusammen und essen auch gemeinsam. Es ist immer eine sehr schöne Atmosphäre hier.«

Ich nicke und schaue mich unauffällig um. Noch immer habe ich keine Ahnung, warum Charles mir den Namen dieses Ortes genannt hat. Und was hat Frida mit alldem zu tun? Hat sie vermutet, dass eine der Pflegekräfte eine Schicksalsgöttin sein könnte? Das ist zumindest momentan mein Verdacht. Und so halte ich besonders nach dem Personal Ausschau. Chloe konnte ich damals nur als Göttin erkennen, weil sie einem Baby den Schicksalsfaden abgenommen hat. Und nun hoffe ich inständig, dass meine Gabe auch in diesem Fall irgendwie hilfreich sein könnte. Nur leider ist es mir bislang noch nicht gelungen, sie aktiv einzusetzen, und Fäden sehe ich im Augenblick nicht.

»Wann wollen Sie denn mit dem Praktikum starten?«, will die Pflegerin wissen. »Und wie sind Sie auf unsere Einrichtung gekommen? Immerhin liegt sie ja nicht sonderlich zentral.«

Kate antwortet mit einem freundlichen Lächeln. »Nach unserem Abschluss würden wir hier gerne anfangen. Wir sind im letzten Jahr«, lügt sie, »und wir wollten uns schon mal nach einer passenden Stelle umsehen. Dass diese Einrichtung etwas abseits liegt, macht ihren besonderen Charme aus, finde ich. Ich liebe die Gegend hier. Mit meiner Familie habe ich oft in den umliegenden State Parks Urlaub gemacht, und so sind wir auch ein paarmal in San Gregorio gewesen.« Ich hebe erstaunt die Brauen, denn dass Kate so gut lügen kann, wusste ich gar nicht.

Die Pflegerin nickt erfreut. »Ich wohne schon mein ganzes Leben hier und könnte mir keinen schöneren Ort vorstellen.«

Wir gehen eine Treppe hinauf und kommen in einen weiteren Korridor: die Demenzstation. Die Türen sind allesamt geschlossen, und die Pflegerin geht mit uns als Außenstehenden nicht einfach zu einem der Bewohner hinein. Doch sie zeigt uns eines der leeren Zimmer, damit wir zumindest mal gesehen haben, wie die Patienten untergebracht sind. Wir werden der Stationsleiterin vorgestellt und gehen anschließend weiter zu den Komapatienten, doch bis auf ein leeres Zimmer und eine Pflegerin, die eine Wachkomapatientin durch den Flur fährt, fällt mir auch dort nichts Besonderes auf.

Anschließend gehen wir wieder hinunter in einen großen, lichtdurchfluteten Raum. »Das ist unser zentraler Aufenthaltsraum. Hier kommen die Bewohner aller Stationen zusammen. Und das ist auch der letzte Raum, den ich Ihnen heute zeigen möchte. Schauen Sie sich ruhig um und unterhalten Sie sich ein wenig, wenn Sie möchten.«

Die Atmosphäre ist angenehm. Einige Heimbewohner sitzen auf den gemütlichen Sofas, lachen miteinander, lesen Bücher. Andere sitzen an den Tischen, malen oder basteln etwas. Wieder andere spielen Schach oder Bridge. Einige Pfleger sind ebenfalls hier und kümmern sich um die Alten, basteln mit ihnen und führen Gespräche.

Natürlich schauen Kate und ich uns das Pflegepersonal ganz genau an. Doch auch jetzt will mir nichts Außergewöhnliches auffallen. Die Angestellten wirken allesamt sehr freundlich und liebevoll im Umgang mit den Bewohnern. Wie soll ich auf die Schnelle herausfinden, ob unter ihnen eine Schicksalsgöttin ist?

Kate zuckt mit den Schultern und raunt mir leise zu: »Am besten, wir schauen uns noch etwas um.«

Also gehen wir auf die Heimbewohner zu, sehen zu, wie sie Schach spielen oder komplizierte Strickmuster entstehen lassen. Mir entgeht dabei nicht, dass uns eine kleine Frau mit wirrem, lockigem Haar nicht aus den Augen lässt. Sie sitzt etwas abseits auf einem der Sofas und betrachtet uns mit misstrauischem Blick.

»Du brauchst gar nicht so zu gucken. Ich weiß, was du suchst. Das sehe ich dir an«, faucht sie mich an, als ich ihr näher komme. »Aber meine Porzellanfiguren bekommst du nicht. Die habe ich schon lange versteckt. Sind ja überall Gauner unterwegs, die eine alte Frau nur um ihr Hab und Gut bringen wollen.«

»Okay«, antworte ich etwas verwirrt. »Aber Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen. Ich bin nur hier wegen einer Praktikumsstelle, Ihre Figuren würde ich niemals anrühren.«

»Natürlich sagst du das, Kindchen. Aber ich sehe, dass du etwas suchst. So was habe ich im Gefühl.«

Ich nicke kurz und frage mich, ob ich tatsächlich so leicht zu durchschauen bin. »Ich bin nur neugierig zu sehen, wie Sie hier leben und wie Ihr Alltag aussieht. Das ist alles.«

Die Alte nickt kurz. »Es ist ganz nett hier. Aber man muss gut aufpassen. Wenn man das nämlich nicht tut, bauen sie hier plötzlich alles um, und dann ist mein Zimmer weg. Sie bringen mich dann in ein anderes. Aber ich lass mich nicht für dumm verkaufen, ich merke das. Außerdem sind dort nie meine Figuren.«

Die Frau klingt absolut überzeugt von ihren Worten, und so nicke ich nur. Mir ist klar, dass das eine der demenzkranken Bewohnerinnen sein muss, und ich setze mich kurz zu ihr. »Kann ich gut verstehen. Das würde mich auch wütend machen.«

Sie nickt. »Überhaupt sind einige Dinge sehr ärgerlich. Da ist Abendessenszeit, und dann kommt nichts. Wenn ich mich beschwere, wird steif und fest behauptet, ich hätte schon gegessen. Kannst du dir das vorstellen, Kindchen? Ich bin doch nicht blöd. Aber ich habe immer ein bisschen was zu essen bei mir im Zimmer. Schokolade von Hershey’s. Ist einfach die Beste.«

»Esse ich auch gerne«, erwidere ich mit einem Lächeln.

Sofort hebt sie den Finger und wedelt damit mahnend vor meiner Nase herum. »Brauchst du gar nicht suchen. Hab ich gut versteckt. Die findest du nie. Und sag das auch deiner hungrigen Katze. Die sieht auch so aus, als würde sie mir alles wegfressen wollen.«

Kurz läuft mir eine Gänsehaut über den Rücken und ich drehe mich vorsichtig um, doch ich kann Yoru nirgends sehen. Kann die Dame wirklich ihn gemeint haben, oder fantasiert sie sich nur etwas zusammen?

»Brauchst nicht so entsetzt zu schauen. Ich habe vorhin ganz genau gesehen, wie dir die Katze nachgeschlichen ist, als du hereingekommen bist. Ich bin schon seit Jahren hier und sehe immer, wenn eines dieser Tiere durch die Gänge läuft. Die Taube, die ich Rudy getauft habe, flattert auch ständig hier herum. Es ist ein Unding, dass andere ein Haustier haben dürfen. Aber wenn ich frage, dann heißt es immer Nein.«

Ich schaue der Dame ganz genau in die Augen. Sie wirkt so überzeugt von ihren Worten, so sicher. Aber das tut sie im Grunde die ganze Zeit. Und doch, könnte es sein, dass hier noch ein anderer Schlüsselgeist ist?

Mrs. Antonio kommt zu uns und legt der älteren Frau den Arm um die Schulter. »Na, hast du Spaß mit unserem Besuch, Rosie?«

»Ich will auch ein Haustier«, brummt sie entschlossen vor sich hin. »Sogar das Mädchen hier darf ihre Katze mitbringen. Warum ich nicht?«

Mrs. Antonio bleibt ganz ruhig und erklärt: »Rosie in dieser Einrichtung sind Haustiere verboten, das weißt du doch. Niemand hat eins.«

»Stimmt nicht«, murrt sie.

Da nickt die Pflegerin einem jungen Mann zu, der gerade einer Bewohnerin neue Farben zum Malen geholt hat. »Andrew, könntest du dich ein bisschen um Rosie kümmern? Vielleicht will sie ein Bild von einer Katze malen. Ich weiß, es ist nicht dasselbe wie eine echte, aber möglicherweise würde es dir trotzdem Spaß machen.«

»Ich will keine Katze«, fährt Rosie fort. »Ich will einen Hund, so wie mein alter Bo früher.«

»Können wir machen«, antwortet Andrew. »Du malst mir deinen Bo und erzählst mir noch mal von ihm.« Er wirft mir ein freundliches Lächeln zu und nimmt Rosie mit zu den Staffeleien.

»Tja, es ist nicht immer ganz einfach«, sagt Mrs. Antonio zu mir. »Manche Bedürfnisse der Bewohner lassen sich nicht umsetzen, doch sie fragen trotzdem immer wieder danach. Natürlich versuchen wir, alles dafür zu tun, dass sie sich hier wohlfühlen.«

Ich nicke und sehe noch einmal zu Rosie. Ich weiß nicht, was ich von ihren Worten halten soll. Hat sie wirklich einen Schlüsselgeist gesehen? Und wenn ja, wem gehört er? Lebt hier womöglich ein ehemaliger Tempes mit seinem Schlüsselgeist? Kurz lasse ich den Blick schweifen, kann aber natürlich nichts entdecken.

Rosie steht mit hoch konzentrierter Miene bei den Staffeleien und kleckst ordentlich Farbe auf ihr Bild, das so gar nichts von einem Hund hat. Der Pfleger Andrew hat sich schon einem anderen Bewohner zugewendet. Rosie hält mitten im Malen inne, sieht mich über die Schulter hinweg an, und plötzlich fällt mir etwas auf. Ihre Augen. Sie sind hellbraun, leuchten beinahe. Sie sieht mich durchdringend an, als wäre sie vollkommen klar im Kopf, als wüsste sie ganz genau, was hier vor sich geht. Augen warm und hell, das hat Kate gesagt. Könnte sie Rosie gemeint haben. Ist dies sie schicksalhafte Begegnung, von der sie gesprochen hat?

Rosie kichert kurz, dann legt sie den Pinsel aus der Hand und geht zügig Richtung Ausgang. Ich will ihr schon hinterherspringen, aber erst suche ich Kates Blick. Ich deute mit dem Kopf auf Rosie, und Kate versteht sofort und nickt. Sie wird mir etwas Zeit verschaffen, falls es nötig wird.

 

Ich eile durch die Gänge, auch wenn ich nicht genau weiß, wo ich überhaupt nach Rosie suchen soll. Also haste ich zunächst etwas unkoordiniert durch die Flure, bis ich mich erinnere, wo die Demenzstation ist, auf der ich ihr Zimmer vermute. Ich komme allerdings gar nicht bis dorthin. Mitten in einem der Korridore halte ich inne. Rosie steht da, als hätte sie auf mich gewartet, und scheint mich mit ihrem Blick durchdringen zu wollen.

»Magst du Tiere?«, will sie wissen und schaut mich wieder durchdringend an.

»Ähm, klar«, erwidere ich und mache einen kleinen Vorstoß. »Besonders Füchse.«

Sie nickt, scheint mit dieser Information nichts Besonderes anfangen zu können. »Ich mag Hunde. Aber ich darf keinen haben. Ich hatte mal einen. Bo, das war ein toller, kleiner Hund. Ich meine, mein neuer Hund muss ja nicht groß sein. Ein kleiner reicht mir. Aber weißes Fell soll er haben. Das auf jeden Fall.« Rosie schaut mich entschlossen an. Ihr Blick ist klar. Sie glaubt an ihre Worte, hat keinerlei Zweifel an ihrer Richtigkeit. Ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass das alles kaum Sinn ergibt, da hebt sie auch schon mahnend den Finger und fährt fort: »Ich würde mich gut um ihn kümmern. Besser, als dieser Kerl seinen Vogel versorgt. Ständig flattert er irgendwo rum, versucht, sich zu verstecken, aber ich sehe ihn.«

Ich runzele die Stirn und blicke sie fragend an. Was hat das zu bedeuten? Es hört sich wieder mal fast so an, als spräche sie über einen Schlüsselgeist. Aber es ist offensichtlich, dass Rosie ziemlich verwirrt ist. Wie viel kann ich ihr also glauben?

Langsam beuge ich mich ein Stück zu ihr vor und sage: »Hier gibt es einen Vogel? Und nur Sie können ihn sehen?«

Rosie winkt sofort ab. »Rede nicht so, als sei ich verrückt. Das machen ohnehin schon alle hier. Was kann ich dafür, wenn niemand wirklich sehen will, was um ihn herum geschieht? Die Patienten, die Pfleger, die Ärzte … allesamt sind nur mit sich selbst beschäftigt und erkennen gar nicht, was direkt vor ihrer Nase passiert. Und ein Vogel interessiert sie nicht. Dabei ist er wirklich sehr hübsch. Eine Taube, wenn ich mich nicht irre. Ich nenne ihn Rudy. Aber ich mag ihn trotzdem nicht. Er schaut immer so komisch, als wüsste er irgendwas, verstehst du?«

Ich nicke langsam. »Wo haben Sie diesen Vogel denn gesehen? Und haben Sie vielleicht einen Menschen in seiner Nähe bemerkt? Sie meinten, dieses Tier gehört einem Mann.«

Rosies Augen verengen sich. Sie mustert mich, und ihre Lippen werden eine Spur schmaler. »Du stellst ganz schön viele Fragen. Fast genau wie der Kerl, der mal hier war. Er wollte auch eine ganze Menge wissen. Ich glaube, er hatte auch so ein Tier.«

Nun beginnt mein Herz unruhig zu klopfen. »Können Sie diesen Mann beschreiben? Was wollte er? Was hat er Sie gefragt?«

Rosie zögert einen Moment, dann dreht sie sich um, geht ein paar Schritte und nickt mir zu, ihr zu folgen. Ich schlucke schwer und frage mich, was sie mir zeigen wird.

 

 

 

Bildquelle: Pinterest

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