Ich laufe die Treppe hinunter und biege in die Küche ab. Ein Kräutertee wird mir sicher guttun. Ich werde mich nach draußen setzen – so weit weg von den Pflanzen, wie nur irgendwie möglich – und versuchen, nicht mehr an Mr. Maccoy oder seine seltsame Tochter zu denken.
Ich reiße die Tür auf und halte mitten in der Bewegung inne. So viel zu meinen Plänen. Kurz überlege ich, den Rückzug anzutreten, aber ich sehe es nicht ein, mich aus unserer Küche vertreiben zu lassen.
Ohne ein Wort zu sagen, gehe ich an Lucius vorbei und schalte den Bunsenbrenner ein, den meine Mutter extra in die Küche gestellt hat, damit ich mir ohne Einsatz von Magie einen Tee oder zumindest eine Suppe kochen kann. Ich stelle einen Dreifuß darüber und darauf einen Topf mit Wasser. Auch wenn es vielleicht albern ist, so zeige ich Lucius weiterhin die kalte Schulter. Nach der Aktion von gestern Abend bin ich noch nicht bereit, wieder mit ihm zu sprechen. Allerdings scheint er mein Verhalten nicht so einfach hinnehmen zu wollen.
»So wortkarg am frühen Morgen?«, will er wissen.
Diese Frage bringt meine Emotionen bereits dermaßen zum Brodeln, dass ich kurz überlege, ob es nicht doch besser wäre, den Raum zu verlassen. Zumindest sollte ich nicht riskieren, dass gleich rot glühende Magiestrahlen durch die Küche rasen, auch wenn die Vorstellung verlockend ist: Lucius, dem zig Zauber um die Ohren fliegen, sodass er schlagartig die Flucht ergreifen muss.
»Ich frage wohl besser nicht, was dir im Augenblick durch den Kopf geht«, sagt er. »Du siehst jedenfalls ziemlich gruselig aus.«
Ich schenke ihm einen zutiefst empörten Blick und sehe nun hoffentlich noch gruseliger aus. Der Kerl hat mich noch nie richtig wütend erlebt, aber wenn er so weitermacht, wird er es bald aus nächster Nähe erfahren dürfen.
»Du scheinst heute Morgen tatsächlich nicht die allerbeste Laune zu haben«, stellt er fest und mustert mich eingehend.
Am liebsten würde ich seinem Blick ausweichen, in dem dieses amüsierte Funkeln spielt. Aber ich versuche, stark zu bleiben, was bei seinem Anblick nicht gerade einfach ist. Lucius trägt nämlich nur eine tief sitzende schwarze Leinenhose. Sein Oberkörper ist mal wieder unbedeckt. Ist der Kerl tatsächlich derart unfähig, sich komplett anzuziehen, oder hat er exhibitionistische Züge? Ich zwinge mich jedenfalls, nicht das Spiel seiner Muskeln zu bewundern oder seine Brust anzustarren. Er hat ohnehin schon ein viel zu großes Ego.
Allerdings führt das meinen Blick weiter zu seinen bedauerlicherweise sehr attraktiven Armen und schließlich zu seinem Gesicht, das leider nicht weniger beeindruckend ist. Mein Herz zieht sich zusammen, als wollte es qualvoll aufschreien. Meine Gedanken werden mit einer Macht zu ihm gezogen, der ich nichts entgegenzusetzen habe. Mit einem Schlag bin ich wieder in der Grotte, sehe seine dunklen Augen, spüre die Wasserperlen, die von seinen Haarspitzen auf mich hinabfallen, und seinen heißen Atem auf meiner Haut. Es kostet mich einiges an Konzentration, um mich auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen, doch auch da helfen mir die Erinnerungen: an seine Lügen, seinen Verrat, seine Skrupellosigkeit. Ich fühle mich so zerrissen. Einerseits will ich gerade nichts anderes, als ihm seine Arroganz aus dem Gesicht wischen. Andererseits hört mein dummes Herz nicht auf, in seiner Gegenwart schneller zu schlagen.
»Du siehst erstaunlich fit aus dafür, dass du dir vermutlich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen hast.« Kurz frage ich mich, ob er tatsächlich erst jetzt aus Mayas Zimmer gekommen ist, aber ich verdränge diesen absolut dämlichen Gedanken sofort. Es geht mich nichts an und es spielt auch gar keine Rolle – zumindest sollte es das.
»Ich dachte eigentlich, dass du mich sofort mit Fragen bombardieren würdest, sobald wir uns sehen«, sagt er und übergeht meinen letzten Kommentar geflissentlich.
»Das muss eine Enttäuschung für dich sein. Desinteresse an deiner Person, was für ein schwarzer Tag für dich.«